Christian Wulff, das Amt und „die Politiker“ an sich

Ich habe bis jetzt nichts gesagt oder geschrieben zu den aktuellen Geschehnissen um den Bundespräsidenten. Es war Weihnachtspause im politischen Berlin, und bei Dingen, die noch im Fluss sind, bei denen täglich neue Fakten auf den Tisch kommen, sollte man sich mit vorschnellen Urteilen zurückhalten.

Was ist passiert? Was wissen wir? Christian Wulff hat in seiner Zeit als Ministerpräsident Niedersachsens ein Einfamilienhaus mit einem Kredit über 500 000 Euro äußerst günstig finanziert und dann Details dieser Finanzierung auf Anfrage der GRÜNEN im Landtag verschwiegen. Zudem scheint er über recht viele Freunde zu verfügen, bei denen sich gut Urlaub machen lässt. So weit, so gut. Zweifelsohne freut es einen persönlich, wenn man sein Eigenheim besonders günstig finanzieren kann. Nur sollten günstige Zinsen (gleichzeitig ohne Sicherheiten) nicht in der Tatsache begründet sein, dass jemand Ministerpräsident ist oder nicht. Genau das ist fraglich – und ich schreibe hier bewusst „fraglich“ und nicht etwa „erwiesen“ oder dergleichen. Ebenso fraglich ist, ob die Annahme dieses Darlehens oder kostenlose Urlaube bei Freunden ein Verstoß gegen das niedersächsische Ministergesetz sind oder nicht. Die Anwälte von Christian Wulff mögen das nicht so sehen – das ist ihr gutes Recht. Genauso wie es das gute Recht der Öffentlichkeit ist, hier weiter Fragen zu stellen oder eine Klärung durch den Staatsgerichtshof in Niedersachsen zu verlangen.

Um es klar zu sagen: Die Maßstäbe, die für einen Bundespräsidenten gelten, sind nicht die Maßstäbe, die an einen Ministerpräsidenten oder eine Bundeskanzlerin angelegt werden müssen. Auch ich erlebe monatlich, wie die Bundesregierung auf Fragen der Parlamentarier doch eher „kreativ“ statt vollständig antwortet. Was aber ein Bundespräsident leisten sollte, ist ein aktiver (und kein reaktiver) Beitrag zur Aufklärung des gesamten Vorgangs. Christian Wulff hat in den letzten drei Wochen meist nur die Dinge zugegeben, die ohnehin schon bekannt waren. Sein Versuch, die Presse unter Druck zu setzen, ist das Gegenteil von Aufklärung und Transparenz. Das Amt des Bundespräsidenten wird nicht durch jene beschädigt, die Aufklärung einfordern, sondern durch denjenigen, der Aufklärung verzögert oder zu verhindern versucht.

Der gesamte Vorgang wirft natürlich noch eine allgemeinere Frage auf: Was erwarten bzw. was sollen Menschen erwarten von einem Bundespräsidenten im Speziellen und von (Berufs-)PolitikerInnen im Allgemeinen? Sind Politiker bessere Menschen? Ich weiß es nicht. Für mich würde ich das klar verneinen. Auch in der Politik kommt es zu Fehlern: mal zu größeren, hoffentlich meist nur zu kleineren. Aber ich bin darauf bedacht, gute Arbeit zu leisten und meine Position nicht für private Zwecke zu nutzen. Es gilt: Ein politisches Amt oder Mandat erhält man durch das Vertrauen von Wählerinnen und Wählern, dass man als Person die Fähigkeiten mitbringt, Probleme lösen zu können. Und solche Fähigkeiten sind nun mal nicht alleine Kompetenzen in der Sachpolitik, sondern betreffen natürlich auch die Person „an sich“. WählerInnen erwarten zurecht, dass gewählte Vertreter sich vorbildlich verhalten. Was ist vorbildlich? Vorbild zu sein heißt nicht, frei von Fehlern zu handeln, aber es verlangt mit Fehlern und Irrtümern aufrichtig, eben vorbildlich umzugehen. Wenn ich darüber nachdenke, welche drei Tugenden mir in der Ausübung meines Mandats wichtig sind, sind es Aufrichtigkeit, Nahbarkeit(quasi als Gegenteil von „abgehoben sein“) und Ernsthaftigkeit (was nicht bedeuten muss, immer alles todernst zu nehmen, aber Dinge ernsthaft zu betreiben).

Christian Wulff hat am gestrigen Abend für ARD und ZDF ein Interview gegeben. Er hat sich darin für Drohanrufe bei der Bild-Zeitung und beim Springer-Verlag entschuldigt. Das sollte man anerkennen. Ob durch eine solche Entschuldigung die Sache aus der Welt und Christian Wulffs Autorität wieder hergestellt ist, weiß ich nicht. Es bleiben offene Fragen. Zur in den letzten Tagen oft zitierten „Würde des Amtes“ gehört auch, nicht vorschnell oder lautstark Rücktrittsforderungen zu erheben. Christian Wulff hat anscheinend für sich entschieden, im Amt bleiben zu wollen. Ich habe mir in den vergangenen Tagen oft überlegt, wie ich an seiner Stelle reagieren würde. Es fällt schwer, sich in eine solche Situation zu versetzen, zumal es zwei unterschiedliche Dinge sind, sich etwas vorstellen oder konkret persönlich in einer solchen Situation zu sein. Trotzdem: an seiner Stelle hätte ich deutliche Zweifel, ob ein Verbleib im Amt sinnvoll ist – sowohl für die Person als auch für das Amt des Bundespräsidenten. Es ist Christian Wulff zu wünschen, dass er in den kommenden Tagen die nötige Aufrichtigkeit, Nahbarkeit und Ernsthaftigkeit besitzt, um zu einer Entscheidung zu kommen.