Enthaltung bei Verlängerung des ISAF-Mandates in Afghanistan

Der Bundestag hat heute das Mandat für den ISAF-Einsatz der Bundeswehr um ein Jahr verlängert. Tobias Lindner hat sich bei der Abstimmung enthalten.

Erklärung nach § 31 GOBT
zur Abstimmung über die Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 2011 (2011) vom 12. Oktober 2011 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen

„Über zehn Jahre nach dem 11. September 2001 und den damit verbundenen Einsätzen in Afghanistan ist es geboten, das militärische Engagement in Afghanistan sukzessive und verantwortungsvoll zu reduzieren und schließlich in absehbarer Zeit zu beenden.

Deutschland hat durch seinen Einsatz in Afghanistan eine Schutzverantwortung für die afghanische Bevölkerung übernommen. Dieser Verantwortung müssen wir sowohl mit unserem zivilen als auch militärischen Engagement gerecht werden. Ein sofortiger Abzug bringt das enorme Risiko mit sich, dass das Land in einem noch schlimmeren und blutigeren Bürgerkrieg versinkt. Ein sofortiger Abzug gefährdet nicht nur bereits Erreichtes, sondern auch die Zukunft der afghanischen Kinder, Frauen und Männer in existentieller Art und Weise.

Das Engagement in Afghanistan wurde durch die internationale Gemeinschaft beschlossen. Ein notwendiger und verantwortungsvoller Abzug erfordert ein koordiniertes Vorgehen, abgestimmt mit den davon betroffenen Nationen. Ein nicht abgesprochener, unilateraler Abzug müsste durch andere Beteiligte kompensiert werden und würde deren Belastung entsprechend stark erhöhen.
Der Abzug aus Afghanistan kann nicht von heute auf morgen geschehen. Die beteiligten Nationen haben sich auf das Jahr 2014 als Abzugsdatum geeinigt. Bis dahin sollen die afghanischen Sicherheitskräfte dazu befähigt werden, selbst für die Sicherheit in Afghanistan zu sorgen. Wir möchten, dass auch Deutschland weiterhin einen Beitrag zu dieser notwendigen Ausbildung leistet.

Wir begrüßen grundsätzlich, dass die Bundesregierung die Mandatsobergrenze auf 4.900 Soldatinnen und Soldaten absenkt, auch wenn die Reduktion in unseren Augen größer hätte ausfallen können. Skeptisch stehen wir jedoch der bloßen Ankündigung gegenüber, dass das Kontingent bis zum Ende des Mandatszeitraumes auf 4.400 Soldatinnen und Soldaten verkleinert werde, ohne klare Kriterien oder einen konkreten Zeitplan vorzulegen. Diese Aussage ist in unseren Augen viel zu unverbindlich. Im Allgemeinen gilt dies auch für den Abzug deutscher Truppen bis 2014: Die Bundesregierung bleibt ein konkretes Abzugskonzept schuldig.
Es gibt zahlreiche Aspekte, die uns an einem fortdauernden militärischen Engagement zweifeln lassen.

Der Militäreinsatz dominiert die Debatte über Afghanistan. Nur das zivile Engagement kann jedoch der afghanischen Bevölkerung eine wahrhaft nachhaltige Perspektive bieten. Nur zivile Aufbauhilfe kann zum Aufbau von Verwaltungsstrukturen, eines Justiz-, Bildungs- oder auch Gesundheitssystems beitragen. Nur durch die zivilen Anstrengungen kann sich eine nachhaltige Wirtschaftsperspektive entwickeln. Die zivile Aufbaustrategie darf militärischen Zielsetzungen nicht untergeordnet werden. Die Bundesregierung verweigert eine selbstkritische Aufarbeitung dieses Problems.

Trotz des Militäreinsatzes ist die Sicherheitslage besorgniserregend. UNAMA meldet einen Anstieg der zivilen Opfer im Vergleich zum Vorjahr um 15 Prozent. Auch wenn die Verantwortung dafür überwiegend Aufständischen anzulasten ist, zeigt dies doch, dass ein so massives Militäraufgebot nicht dazu in der Lage ist, das Land zu befrieden.

Ganz im Gegenteil führen kontraproduktive night raids oder capture-or-kill Operationen nur zu weiteren Opfern und zur Verunsicherung seitens der Bevölkerung. Sie führen zu weiterer Radikalisierung und treiben somit die Gewaltspirale weiter an.

Obwohl es Argumente für den weiteren Verbleib der Bundeswehr in Afghanistan gibt, sehen wir ebenso gewichtige Entwicklungen, die uns an der Wirksamkeit des militärischen Engagements entscheidend zweifeln lassen.

Wir haben uns dazu entschieden, uns bei der Abstimmung über die Fortsetzung des ISAF-Mandates der Bundeswehr zu enthalten. Ein einfaches „Weiter so“ können wir ebenso wenig vertreten wie einen sofortigen Abzug. Dies ist eine Gewissensentscheidung.

Der Entschließungsantrag unserer Fraktion findet unsere Unterstützung und legt unsere Position im Hinblick auf den Afghanistan Einsatz näher dar.“