Zum Frieden vereint – Ein Plädoyer für mehr Europa in der Außen- und Sicherheitspolitik

Gemeinsam mit Cem Özdemir habe ich mir in einem Thesenpapier einige Gedanken darüber gemacht, wie ein Europa mit weniger Soldaten und weniger Haushaltsmitteln für Militär denkbar wäre.

Manches mag aus heutiger Sicht utopisch erscheinen, andere Punkte ungeklärte Fragen aufwerfen, wiederum andere Punkte rufen zu Widerspruch auf. Wir sind überzeugt, dass gemeinsame europäische Streitkräfte – die nationale Armeen überflüssig machen – nicht nur ein mittel- und langfristig sinnvolles politisches Ziel sind, sondern dass auch konkrete gangbare kurzfristige Schritte existieren, wie man zu mehr Europa in der Außen- und Sicherheitspolitik gelangen kann:

Zum Frieden vereint

Warum eine Renaissance der EVG eine konsequente Fortsetzung des Europäischen Projekts ist

Von Dr. Tobias Lindner und Cem Özdemir

Seit 1954 die Idee einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft vorerst scheiterte, ist eine Menge Zeit vergangen. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat kürzlich den Gedanken einer Europäischen Armee nun wieder zum Gegenstand der öffentlichen Diskussion gemacht.

Eine europäische Armee ist eine gute Idee. Sie wie Juncker jedoch bloß als Reaktion auf den Ukrainekonflikt, als machtstrategisches Instrument zu fordern, um „hard power“ projizieren zu können, ist hingegen falsch. Wir sollten eine europäische Armee schaffen, um den Frieden in Europa nachhaltig zu sichern. Wir sollten europäische Streitkräfte als Bekenntnis zu unseren gemeinsamen Werten und unserem gemeinsamen Verständnis von Außen- und Sicherheitspolitik verstehen. Wir sollten sie als Chance begreifen, unsere Ressourcen effizient zu bündeln und durch den Abbau von Dopplungen das militärische Potenzial auf das nötigste reduzieren.

Wir sind davon überzeugt, dass sinnvoll konzipierte und demokratisch kontrollierte europäische Streitkräfte, die nationale Armeen ersetzen, einen wertvollen Beitrag zu Abrüstung und Krisenvermeidung in Europa leisten können.

Uns ist sehr bewusst, dass die Auflösung nationaler Streitkräfte und die Übertragung militärischer Fähigkeiten auf die europäische Ebene mit der nachhaltigen Aufgabe eines zentralen Teils staatlicher Souveränität verbunden ist. Auch gibt es dabei einige Aspekte, die aus heutiger Sicht fast unüberwindbar scheinende Hindernisse sind, wie die Rolle der Atomwaffen Frankreichs und Großbritanniens, wenn man zurecht fordert, dass europäische Streitkräfte keine Nuklearmacht sein sollten. Der Weg zu einer Vergemeinschaftung von Streitkräften in Europa mag nur in kleinen Schritten gehen und heute vielen so utopisch erscheinen, wie die Aufgabe nationaler Währungen vor 30 Jahren vielen noch utopisch erschien.

Ein gemeinsames Europa war und ist nach den Lehren zweier Weltkriege immer zuerst ein gemeinsames Friedensprojekt. Der wirksamste Weg, damit Staaten keine Kriege mehr gegeneinander führen, ist es, die nationalen Streitkräfte dieser Staaten abzuschaffen. Eine europäische Armee ist deshalb auch eine sinnvolle und folgerichtige Weiterentwicklung eines gemeinsamen Europas als Friedensprojekt, weil sie die Fähigkeit, dass Staaten in Europa Kriege gegeneinander führen könnten, unmöglich macht. Verantwortung für Frieden in Europa heißt auch, finanzielle Mittel für Verteidigung nur in dem Umfang auszugeben, wie sie notwendig sind, und eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu betreiben, die dem Frieden auch außerhalb der Europäischen Union verpflichtet ist.

Die Entwicklung der Verteidigungsausgaben im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung ist in der EU in den vergangenen 20 Jahren in fast allen Staaten rückläufig. Das ist richtig und notwendig. Dennoch geben die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zusammen genommen immer noch eine immense Summe für Verteidigung aus – 190 Milliarden Euro in 2012 (Russlands Budget lag im Vergleich dazu bei etwa 62 Milliarden Euro). Trotz des vielen Geldes gibt es in der Bundeswehr und in vielen anderen Streitkräften enorme Probleme, etwa beim Zustand des Materials, der Gebäude, bei der Vereinbarkeit von Familie oder dem weiterem beruflichen Werdegang und dem Dienst. Die Streitkräfte der Staaten in Europa sind nach dem Ende des Kalten Krieges zum Glück kleiner geworden – so klein jedoch, dass diese inzwischen aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht mehr vernünftig unterhalten werden können. Europa kann mehr erreichen, wenn es sich zusammentut statt in der Sicherheitspolitik nationale Kleinstaaterei zu betreiben. Die Vision eines Europas, das weniger Geld für Rüstung ausgibt und weniger Soldaten als heute hat, muss keine Utopie bleiben.

Schließlich bedingen sich eine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik und Instrumente, diese glaubhaft umsetzen zu können, gegenseitig. Zwar verfügt die Europäische Union schon heute bereits über sogenannte Battle Groups, jedoch sind erst in jüngster Vergangenheit wie bei der Mission in der Zentralafrikanischen Republik politische Absichten zumindest verzögert worden, weil beispielsweise Transport- und Logistikfähigkeiten nicht rechtzeitig bereit gestellt werden konnten.

Damit eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik gelingen und die Idee gemeinsamer europäischer Streitkräfte ein Mittel der Abrüstung und Konfliktvermeidung werden können, müssen aus unserer Sicht drei zentrale Forderungen erfüllt sein:

Erstens sind Streitkräfte – ob national oder europäisch – nie ein Selbstzweck, sondern können nur im Rahmen der Außen- und Sicherheitspolitik gedacht werden. Für die Entwicklung einer europäischen Armee heißt dies, dass die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der EU gestärkt und verbindlicher werden muss. Zentral ist aus unserer Sicht dabei auch, dass wir in Europa eine Diskussion hin zu einem Konsens führen müssen, wozu die Mitglieder der EU bereit sind, militärische Mittel einzusetzen – und wozu nicht. Neben diesen zentralen Fragen erfordern europäische Streitkräfte natürlich noch einen weitergehenden politischen und rechtlichen Rahmen, der neben strengen europäischen Regelungen zu Rüstungsexporten beispielsweise auch Fragen der gemeinsamen und kostensparenden Beschaffung und Instandhaltung militärischer Systeme umfasst.

Zweitens darf der Aufbau europäischer Streitkräfte nicht dazu führen, dass die parlamentarische Kontrolle ausgehöhlt oder abgeschafft wird. Eine Übertragung weiterer Kompetenzen in der Außen- und Sicherheitspolitik und vor allem von Streitkräften selbst wird nur möglich sein, wenn die Kontrollmechanismen von Beginn an klar definiert und gelebt werden. In Deutschland darf aus guten Gründen die Bundeswehr sich nur dann an Auslandseinsätzen beteiligen, wenn zuvor der Deutsche Bundestag dem zugestimmt hat. Diese Kontrolle ist essentiell und darf bei einer Europäisierung der Streitkräfte nicht verloren gehen. Wir sprechen uns dafür aus, dass die Kontrolle von gemeinsamen europäischen Streitkräften schlussendlich beim Europäischen Parlament liegen soll. Die weiteren Kontroll- und Gestaltungsmöglichkeiten wie das Budgetrecht und eine Ombudsperson, wie es der Wehrbeauftrage des Deutschen Bundestages ist, müssen ebenso Bestandteil einer europäischen Parlamentsarmee sein.

Drittens dürfen Europäische Streitkräfte keine Parallelstruktur – quasi zwischen der NATO einerseits und nationalen Armeen andererseits – darstellen. Das Verhältnis zwischen EU und NATO darf nicht als Konkurrenz verstanden werden, sondern sollte durch eine enge Partnerschaft geprägt sein. Mit dem Aufbau einer gemeinsamen europäischen Armee muss ein Abbau und – im Endstadium – schließlich die Auflösung nationaler Streitkräfte einhergehen. Nur so kann diese neue Struktur Kriege zwischen europäischen Staaten unmöglich machen, unsere gemeinsame Verteidigung stärken und die haushalterischen Effizienzvorteile realisieren.

Bereits heute gibt es mit der deutsch-französischen Brigade und dem deutsch-niederländischen Korps Beispiele einer verstärkten multinationalen Kooperation der Bundeswehr. Im Hintergrund stehen dabei die Konzepte des „Pooling and Sharing“. Während beim Pooling Nationen ihre militärischen Fähigkeiten, wie beispielsweise den Lufttransport, zusammenlegen und Synergieeffekte erzielen, verzichten beim Sharing Nationen vollständig auf eine Fähigkeit und verlassen sich dabei auf andere Nationen, die diese Fähigkeit in ihren Streitkräften bereithalten. Ein nächster folgerichtiger Schritt wäre aus unserer Sicht, dass sich europäische Staaten noch stärker darauf verlassen, dass bestimmte Fähigkeiten europäisch durch ihre Partner bereitgehalten werden. „Europäisch“ sollte dabei tatsächlich bedeuten, dass es sich um Truppenteile handelt mit eigener dauerhafter supranationaler Kommando- und Führungsstruktur, gemeinsam finanziert von diesen Staaten und unter parlamentarischer Kontrolle.

Wenn es die Bundesregierung nicht nur bei Sympathiebekundungen belassen will und es ernst meint mit mehr Europa in der Außen- und Sicherheitspolitik, dann sollte sie sich gemeinsam mit den europäischen Partner dazu auf machen, diese nächsten Schritte zu mehr Kooperation und Vertrauen in der Außen- und Sicherheitspolitik zu gehen.