Seit Monaten gibt es eine wahre Hängepartie um eine weitere finanzielle Unterstützung für Griechenland, verbunden mit einer durch Teile der Union betriebene Diskussion um einen möglichen Ausstieg Griechenlands aus der Eurozone.
Griechenland hat vergangene Woche die Eurogruppe um weitere Finanzhilfen aus dem ESM gebeten und die 19 europäischen Regierungschefs der Eurozone sind zur Aufnahme von Verhandlungen für ein drittes Hilfspaket und für eine Brückenfinanzierung bereit. Sechs Parlamente stimmen darüber ab – neben Estland, Finnland, Niederlande, Österreich und der Slowakei am heutigen Freitag auch Deutschland.
Nach Wochen der Verhandlungen der Euroländer mit Griechenland, in denen ein Grexit mehrmals drohend im Raum stand, kam es am vergangenen Wochenende (12.07.2015) zu einem Beschluss der Verhandlungspartner, der vorsieht, unter der Voraussetzung der sofortigen Umsetzung von Reformmaßnahmen, die Verhandlungen mit Griechenland über ein drittes Hilfspaket und eine Brückenfinanzierung aufzunehmen. Am Mittwoch (15.07.2015) hat das griechische Parlament mit der Verabschiedung erster Reformmaßnahmen deutlich gemacht, dass es bereit ist, diesen Weg zu gehen und im Euro bleiben möchte.
Die Mitglieder meiner Fraktion, darunter auch ich, standen nun vor der schwierigen Entscheidung, wie wir uns bei der Abstimmung über die Aufnahme von Verhandlungen verhalten sollen:
Die Bundesregierung, allen voran Angela Merkel und Wolfgang Schäuble, haben sich bei den Verhandlungen nicht gerade mit Ruhm bekleckert, im Gegenteil, es wurde viel Porzellan im Haus Europa zerschlagen, vor allem dadurch, dass Deutschland offensiv einen Grexit ins Spiel brachte.
Inhaltlich muss man festhalten, dass wir es beim Papier über die Aufnahme von Verhandlungen mit einem Kompromiss von 19 Staaten zu tun haben. Dieser enthält Punkte, die ich persönlich für falsch halte, andere Punkte, bei denen Griechenland sich mit seinen Ideen durchsetzen konnte und wiederum andere Punkte, die wir als Grüne schon länger gefordert haben – eine schwierige Entscheidung also.
In unserer Fraktion sind wir einhellig der Meinung, dass es Verhandlungen mit Griechenland über ein neues Programm braucht und dass das Gerede über einen Grexit endlich ein Ende haben muss. Viele Kolleginnen und Kollegen haben lange mit sich gerungen, wie sie sich nun gegenüber dem Antrag der Bundesregierung verhalten sollen, mit dem sowohl ein Mandat für die Aufnahme von Verhandlungen als auch eine Brückenfinanzierung beschlossen werden soll.
Ich selbst bin wie etwa 20 andere Fraktionsmitglieder auch zu dem Ergebnis gekommen, dass ich trotz massiver Kritik am Verhandlungsstil von Merkel und Schäuble und trotz Bedenken, ob die Details der Einigung wirklich alle vernünftig sind, der Aufnahme von Verhandlungen über ein ESM-Programm zustimmen und eine Brückenfinanzierung unterstützen werde. Käme es nicht zu diesen Verhandlungen und zur Brückenfinanzierung, wäre ein sofortiger Grexit die Folge. Für mich ist es besser, einen Weg zu Verhandlungen zu beschreiten, an dem ich viel zu kritisieren habe, als keine Verhandlungen zu führen. Bei meinem Abstimmungsverhalten ist mir wichtig, dass ich keinen Unterschied mache zwischen einer Situation, in der meine Stimme das Zünglein an der Waage wäre, und dieser Situation, in der die Mehrheiten „Ja“ sicher sind. Deshalb stimme ich – wenn auch mit erheblichen Bauchschmerzen – dem Antrag der Bundesregierung zu. Dies ist eine Gewissensentscheidung.
Nachfolgend findet ihr meine persönliche Erklärung zum Abstimmungsverhalten sowie weitere Informationen zu den GRÜNEN Anträgen.
Inhalt
- Persönliche Erklärung: Griechenland gehört zu Europa
- GRÜNE Anträge und Kritik an der Verhandlungsführung der Bundesregierung
- Was steht heute zur Abstimmung?
- Umgesetzte Grüne Forderungen
- Gefahr eines Grexit für Deutschland
Persönliche Erklärung: Griechenland gehört zu Europa
Persönliche Erklärung nach § 32 GOBT
zum Antrag des Bundesministeriums der Finanzen
Tagesordnungspunkt 1 a) der 117. Sitzung des Deutschen Bundestages, Freitag, 17.07.2015
Griechenland gehört zu Europa
Wir stimmen heute mit „Ja“, weil wir als Europäerinnen und Europäer davon überzeugt sind, dass die Europäische Union und die Eurozone zusammenhalten müssen! Wir stimmen mit „Ja“, weil Griechenland im Euro bleiben muss! Wir stimmen mit „Ja“, weil sich die griechische Bevölkerung auch weiterhin auf die Unterstützung seiner europäischen Partner verlassen können muss! Wir stimmen mit „Ja“, damit die Verhandlungen zwischen der griechischen Regierung und den Euro-Staaten über ein weiteres Kredit- und Reformprogramm aufgenommen werden können! Denn Griechenland braucht europäische Solidarität. Und Europa braucht das Vertrauen in die griechische Regierung, den ambitionierten Reformkurs jetzt umzusetzen. Das Ziel muss sein, dass Griechenland wieder auf eigenen Beinen steht. Dabei darf es keine Illusion geben: Der Weg dorthin ist kein leichter. Der Reformprozess und die wirtschaftliche Erholung in Griechenland kann nur dann gelingen, wenn das Land die Sicherheit hat, im Euro zu bleiben und die erforderliche Zeit erhält, um verlässliche Rahmenbedingungen, effektive Strukturreformen und notwendige Investitionen zu tätigen. Das ist aus unserer Sicht die wichtigste Bedingung für eine Chance auf Erfolg des Landes und dabei wollen wir Griechenland unterstützen. Ohne ein neues Kreditpaket sehen wir nicht, dass das Land überhaupt diese Chance hat. Deswegen stimmen wir heute dem Antrag der Bundesregierung zu, der im Wesentlichen die Aufnahme von Verhandlungen über neue Kredite für Griechenland und die Bereitstellung einer Brückenfinanzierung beinhaltet.
Seit mehr als fünf Jahren begleiten wir als Abgeordnete des Deutschen Bundestags Griechenland durch unsere parlamentarischen Debatten und Abstimmungen über Kredithilfen, aber auch durch viele Reisen in das Land und unseren Einsatz für mehr gegenseitiges Verständnis zwischen Deutschland und Griechenland. Wir haben immer wieder deutliche Kritik an den Fehlern geübt, die bis heute bei der Krisenpolitik für Griechenland gemacht wurden. Gerade der Vorschlag eines temporären Austritts Griechenlands aus dem Euro war ein Fehler historischen Ausmaßes, mit dem die Bundesregierung den Zusammenhalt in Europa und in der Eurozone gefährdet hat.
Nach einem Prozess der auf allen Seiten von Fehlern, nationaler Engstirnigkeit und Verletzungen geprägt war, haben sich am vergangenen Wochenende alle Staats- und Regierungschefs der Eurozone auf einen gemeinsamen Weg geeinigt. Wir sind politisch ausdrücklich nicht mit allen einzelnen auf dem Euro-Gipfel am 12. Juli 2015 vereinbarten Inhalten einverstanden. Das neue Programm setzt viele Fehler der bisherigen Vereinbarungen fort, auch wenn es an anderen Stellen wichtigen Forderungen der griechischen Regierung entgegengekommen ist. Wir wollen trotzdem dieser Einigung, erst recht nach den Schwierigkeiten, überhaupt zu einer Einigung zu finden, unsere Zustimmung nicht versagen. Nachdem die 19 Staats- und Regierungschefs und u.a. die Parlamente von Frankreich, Finnland, Luxemburg, Österreich und vor allem Griechenland selber diesem Paket zugestimmt haben, wird es realistisch jetzt keine grundsätzlich anders gestaltete Lösung für Griechenland geben.
In seiner inzwischen „Schuman-Erklärung“ benannten Rede vom 9. Mai 1950, in der der französische Außenminister Robert Schuman die Schaffung einer Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) vorschlug, heißt es: „Europa lässt sich nicht mit einem Schlage herstellen und auch nicht durch eine einfache Zusammenfassung. Es wird durch konkrete Tatsachen entstehen, die zunächst eine Solidarität der Tat schaffen.“ Vor dem Hintergrund der kritischen Lage in Griechenland und der dringend benötigten Klarheit über den Weg schon in den kommenden Tagen, heißt Solidarität mit Griechenland für uns, dass wir dem Antrag der Bundesregierung genauso wie den Anträgen unserer Fraktion zustimmen müssen.
Unterzeichner:
Dr. Tobias Lindner, Manuel Sarrazin, Katrin Göring-Eckardt, Cem Özdemir, Kerstin Andreae, Oliver Krischer, Dr. Konstantin von Notz, Britta Haßelmann, Annalena Baerbock, Omid Nouripour , Renate Künast, Dieter Janecek, Anja Hajduk, Ekin Deligoez , Brigitte Pothmer, Luise Amtsberg, Marieluise Beck, Tom Koenigs, Kordula Schulz-Asche, Elisabeth Scharfenberg, Matthias Gastel, Friedrich Ostendorff, Markus Tressel
GRÜNE Anträge und Kritik an der Verhandlungsführung der Bundesregierung
Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen hat einen eigenen Antrag für die Aufnahme von ESM-Verhandlungen und einer Brückenfinanzierung für Griechenland eingebracht. Dieses Mandat soll die Bundesregierung darauf verpflichten, bei den anstehenden Verhandlungen folgende Elemente für eine tragfähige Lösung umzusetzen:
- einen Grexit klar ausschließen
- Investitionen im Sinne eines Green New Deals vorsehen
- Schuldenerleichterung wie es der IWF gefordert hat
- keine Austeritätsmaßnahmen
- keine Einschränkung der Demokratie in Griechenland
- Stabilisierung des Bankensektors
- konsequente Strukturreformen im öffentlichen Sektor
- sofortige humanitäre Nothilfe
Hier unser Antrag nach ESM-Finanzierungsgesetz für die Aufnahme von ESM-Verhandlungen:
http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/18/055/1805595.pdf
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/055/1805594.pdf
Die Rolle Deutschlands, insbesondere die von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, bei den Verhandlungen muss kritisch betrachtet werden. Deutschland hat fünf Jahre lang einen einseitigen und kurzsichtigen Sparkurs von Griechenland gefordert, der die Notwendigkeit von Investitionen verkannte und somit nicht die Gesundung der griechischen Wirtschaft zum Ziele hatte. Dass dieser Sparkurs der Sache nicht gerecht wurde, haben wir immer kritisiert. Schäubles Vorschlag eines temporären Grexits war ein historischer Fehler, da er damit die Grundfeste Europas der gegenseitigen Solidarität aufkündigte. Glücklicherweise konnte sich Schäuble mit seinem Vorschlag nicht durchsetzen.
In zwei weiteren Entschließungsanträgen nehmen wir Stellung zum Verhandlungsmandat und zur Brückenfinanzierung der Bundesregierung:
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/055/1805593.pdf
Was steht heute zur Abstimmung?
Der Deutsche Bundestag stimmte heute über einen Antrag der Bundesregierung ab, der zwei Dinge vorsieht:
- Die Erlaubnis offizielle Verhandlungen über ein ESM-Programm mit Griechenland aufzunehmen. Diese Verhandlungen hängen im Antrag selbst von Bedingungen ab, die Griechenland am 15.7. erfüllt hat. Voraussichtlich werden diese Verhandlungen etwa vier Wochen dauern, anschließend wird der Bundestag erneut über das Ergebnis der Verhandlungen abstimmen müssen.
- Über eine Brückenfinanzierung für Griechenland für die Dauer dieser Verhandlungen. Dazu werden Mittel aus dem EFSF genutzt.
Die Begründung des Antrages, die ich in einigen Punkten nicht teile, stand nicht zu Abstimmung.
Den Antrag der Bundesregierung findet ihr hier:
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/055/1805590.pdf
Umgesetzte GRÜNE Forderungen
Die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen hat immer einseitige Sparmaßnahmen kritisiert und Investitionen in eine nachhaltige Wirtschaft gefordert. Folgende GRÜNE Forderungen wurden im vorliegenden Maßnahmenkatalog des Verhandlungsergebnisses aufgenommen:
- Mit der neuen Task Force for Greece der EU-Kommission sollen die bereitgestellten Investitionsmittel in Höhe von 35 Mrd. Euro (Förderperiode bis 2020) schnellstmöglich in Griechenland ankommen und in nachhaltige Projekte fließen
- Bekämpfung der Korruption und Steuerhinterziehung und -vermeidung,
- Kürzung des Militärhaushalts,
- Abschmelzung von Steuerprivilegien für Reeder,
- schrittweise Einführung einer sozialen Mindestsicherung,
- Reform der öffentlichen Verwaltung und
- Schritte zu Umschuldung und Schuldenerleichterung
Begrüßenswert sind vor allem die ersten Schritte zur Umschuldung und Schuldenerleichterung. Im Rahmen eines neuen ESM-Kreditpakets werden Griechenland finanzielle Mittel gewährt, um seine Zahlungsverpflichtungen bei EZB und IWF zu bedienen. Auch Zinssenkungen oder spätere Rückzahlungen werden bei positivem Programmverlauf in Aussicht gestellt.
Gefahr eines Grexit für Deutschland
Für die bisherigen Hilfspakete hat Deutschland bisher nur Bürgschaften und Garantien übernommen, aber selbst keine Kredite ausgereicht. Bei einer Staatspleite Griechenlands und einem Grexit würden diese Bürgschaften und Garantien ganz oder teilweise fällig werden. Die Bürgschaften für Griechenland in Höhe von rund 80 Mrd. Euro wären bei einem Bundeshaushaltsvolumen von rund 310 Mrd. Euro eine erhebliche Belastung für Deutschland. Nicht abzusehen sind die Folgen eines Grexit auf Europa, die Finanzmärkte und die wirtschaftliche Entwicklung.