Persönliche Erklärung zur Abstimmung zur Sterbebegleitung

Vor meiner Zeit im Deutschen Bundestag, als ich noch wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität war, hat man mir geraten, stets vorsichtig mit Menschen zu sein, die in jeder Situation, bei jeder Fragestellung genau und exakt wissen, was richtig und falsch ist. An diese gesunde Skepsis fühlte ich mich vergangene Woche zurückerinnert, als am Freitag im Plenum die Entscheidung darüber anstand, ob und in welchen Situation der Staat Menschen, die anderen Menschen beim Selbstmord helfen, bestrafen soll. In den Tagen zuvor erreichten mich unzählige Briefe, E-Mails und leider auch recht geschmacklose „Geschenke“ (wie „Todesspritzen“), um für die eine oder andere Position in dieser Frage zu werben.

Selbstmord zu begehen ist in Deutschland straffrei. Auch, wenn dies eine traurige Wahrheit sein mag, so ist es doch Bestandteil der Selbstbestimmung eines Menschen zu entscheiden, ob sie oder er selbst seinem Leben ein Ende setzen möchte. Die Beihilfe dazu – nicht die aktive Sterbehilfe hingegen – ist seit 1871 ebenfalls straffrei, immer vorausgesetzt, dass der Selbstmörder tatsächlich selbst und voll urteilsfähig sein Leben beenden möchte. Soweit zur Ausgangslage.

Der Bundestag stand vor der Frage, ob die Rechtslage von 1871 heute, angesichts von „Sterbehilfevereinen“, die Menschen gegen Geld „Unterstützung“ beim Suizid anbieten, noch zeitgemäß ist. Für mich stellte sich damit nicht weniger die Frage, wie wir als Gesellschaft verschiedene Sichtweisen gegeneinander abwägen sollen. Wie erhält man, vor allem für todkranke Menschen, dieses letzte Recht auf Selbstbestimmung so, dass diese die Aussicht haben können, nicht unter schweren Schmerzen sterben zu müssen? Und wie bewahrt man eine Gesellschaft davor, dass kein öffentlicher Druck eben auf schwerkranke Menschen entsteht, möglicherweise „sozialverträglich“ frühableben zu wollen? Wie lässt man nahen Angehörigen und Ärzten, die im Einzelfall eine Gewissensentscheidung treffen, diese Möglichkeit, und wie unterbindet man gleichzeitig das „Geschäft mit dem Tod“? Die Entscheidung am Freitag war mit Sicherheit eine der schwersten, die ich persönlich im Deutschen Bundestag zu treffen hatte.

Insgesamt standen fünf Anträge bzw. Gesetzentwürfe zur Abstimmung: keine Änderung der aktuellen Rechtslage, die quasi jede Form der Beihilfe erlaubt, andererseits das vollständige Verbot der Beihilfe zum Suizid. Dazwischen lagen Anträge, die Ärzte unter gewissen Umständen ausdrücklich die Erlaubnis zur Beihilfe geben wollten, ohne gleichzeitig das Strafrecht zu ändern, und zwei weitere Anträge, die Beihilfe zum Selbstmord dann verbieten wollten, wenn sie gewerbsmäßig bzw. geschäftsmäßig erfolgt.

Für mich steht fest, dass ich in keiner Gesellschaft leben möchte, in der Ärzte oder Sterbehilfevereine ein gewinnbringendes Geschäft mit dem Tod machen und in der Selbstmord (mit oder ohne Beihilfe) im Alter zur Normalität wird. Wir brauchen vor allem eine Verbesserung der Palliativmedizin, der ärztlichen, psychologischen und seelsorgerischen Unterstützung von Menschen auf ihrem letzten Lebensweg. Wir müssen die Mittel, um Leiden in der letzten Phase eines Lebens zu lindern, massiv verbessern. Gleichzeitig müssen wir aber akzeptieren, dass die Entscheidung eines Menschen, sein Leben selbst beenden zu wollen, immer eine Extremsituation ist und bleiben wird. Wenn dabei Ärzte, Freunde oder Angehörige in solchen Ausnahmesituationen Beihilfe leisten, dann möchte ich diese weiterhin straffrei gestellt wissen. Aus diesen Gründen habe ich mich für den Gesetzentwurf der Gruppe Brandt/Griese entschieden, der am vergangenen Freitag auch eine Mehrheit im Bundestag gefunden hat. Er lässt Beihilfe zum Suizid weiterhin straffrei, mit Ausnahme solcher Fälle, in denen Menschen geschäftsmäßig handeln, d.h. in denen die Beihilfehandlung auf Wiederholung ausgelegt ist und im Mittelpunkt ihrer Tätigkeit steht.