Traditionserlass – mit Leben füllen (Gastbeitrag im Behörden Spiegel)

Ein Dokument aus dem Jahr 1982 hat alleine durch sein Alter bereits eine gewisse Tradition. Wenn es sich bei dem Dokument jedoch um den Traditionserlass der Bundeswehr handelt, ist das stolze Alter nicht zwangsläufig positiv.

Auslöser für die Überarbeitung des seit 1982 unverändert geltenden Traditionserlasses war der Fall Franco A. und die fragwürdigen Devotionalien aus der NS-Zeit in Gemeinschaftsräumen in den Kasernen Illkirch und Donaueschingen. Wie groß zu Beginn der Debatte die Unsicherheit innerhalb der Truppe war, zeigte beispielhaft das an der Universität der Bundeswehr Hamburg abgehängte Bild von Helmut Schmidt in Wehrmachtsuniform. Ebenso hat der unnötige Vorwurf der Ministerin, dass die Bundeswehr in Gänze ein Haltungsproblem habe, der Truppe unnötig Unsicherheit beschert und den Prozess zu Beginn sicherlich nicht beruhigt. Durchsuchungen von Stuben und Kasernen in Abwesenheit der dort dienenden Soldatinnen und Soldaten waren nicht angemessen. Grundsätzlich – und losgelöst vom Fall Franco A. – war und ist die Überarbeitung des Traditionserlasses aber richtig. Es hätte schon vorher Gründe dazu gegeben – das Ende des Kalten Krieges, die Wiedervereinigung oder die Einsatzerfahrung der Bundeswehr.

Nach der Vorstellung des ersten Entwurfs Ende des letzten Jahres und der anschließenden Diskussion innerhalb der beteiligten Gremien wurde im Februar dieses Jahres der zweite Entwurf des Traditionserlasses vorgestellt. Dieser ist nach der Debatte im Verteidigungsausschuss nun in Kraft getreten.
An dieser Stelle darf jedoch keineswegs ein Haken hinter das Thema gemacht werden. In meinen Augen fängt mit der Umsetzung des Erlasses die Arbeit erst wirklich an. Wir stehen vor der zentralen Herausforderung, wie der Traditionserlass in der politischen Bildung und dem Alltag der Soldatinnen und Soldaten umgesetzt wird und wie dabei alle mitgenommen werden. Die klare Abgrenzung von Traditionen, die in der Bundeswehr keine Rolle spielen dürfen, ist ein wichtiger Schritt für die anstehende Vermittlung des Erlasses. Ziel muss es sein, den Soldatinnen und Soldaten Handlungssicherheit in der praktischen Traditionspflege zu vermitteln.

In der Ausbildung muss politische Bildung einen entsprechenden Stellenwert einnehmen. Ausbilderinnen und Ausbilder sowie Vorgesetzte benötigen ausreichend Zeit und Raum, um hinzuhören und hinzusehen, um so Missstände abzustellen. Gerade hier muss jedoch angesichts der Aussagen des Wehrbeauftragten ein großes Fragezeichen gemacht werden. Der Wehrbeauftragte hat in seinem Jahresbericht die besorgniserregende Feststellung gemacht, dass gerade Zeit für Dienstaufsicht, für ethische und politische Bildung fehlt. Hier muss in meinen Augen nachgebessert werden, denn es ist unstrittig: Erlasse und Trendwenden sind nichts wert, wenn sie nicht auch übermittelt und in der tagtäglichen Arbeit der Soldatinnen und Soldaten gelebt werden. Die Feststellung des Wehrbeauftragten, dass eine schleichende Aushöhlung der persönlichen Führungsverantwortung zu beobachten ist, muss ernst genommen werden. Im Zuge der Trendwende Personal muss hier gegengesteuert werden.

Weniger positiv fällt mein Urteil über die Passage zu den Kasernennamen im Traditionserlass aus. Hier wurde die Chance für mehr Klarheit vertan. Vieles deutet daraufhin, dass Verantwortlichkeit weiterhin unklar bleibt. Wenn in den Köpfen der Soldatinnen und Soldaten das Traditionsverständnis geschärft werden soll, ist es sicherlich nicht förderlich, wenn auf den Mauern einzelner Kasernen nach wie vor Namen stehen, die nicht zur modernen Bundeswehr und auch nicht zum neuen Traditionserlass passen.
Schlussendlich kann die Bundeswehr nach über 60 Jahren als Parlamentsarmee stolz auf sich selbst sein. Die Bundeswehr hat in den letzten Jahren und Jahrzehnten vieles und beachtliches geleistet. Gerade die erfolgreichen Hilfsleistungen in humanitären Notlagen sowie die Beiträge der Bundeswehr zum internationalen Krisenmanagement sind hier hervorzuheben. Sechzig Jahre Bundeswehr sind eine stolze Zeit – und sie alleine reichen auch aus, damit die Bundeswehr auf sich stolz sein kann.