Nach Jahren, in denen der Verteidigungsetat massiv gewachsen ist, befindet sich die Bundeswehr zu Beginn des Jahres 2021 in einer Situation, in der sie der Gefahr einer wachsenden Diskrepanz zwischen Anspruch auf der einen und Ressourcen auf der anderen Seite ausgesetzt ist. Die Bundesregierung hat mit dem Weißbuch 2016 und dem daraus abgeleiteten Fähigkeitsprofil über das Jahr 2030 hinaus enorme Ansprüche und Zusagen auf dem Gebiet der Verteidigungspolitik gemacht. Die Schuldenbremse des Grundgesetzes und die Haushaltslage nach der Corona-Krise werden jedoch zukünftige Steigerungen des Wehretats spürbar begrenzen. Die Ansprüche aus dem Weißbuch 2016 werden sich daher – selbst bei gutem Willen – so nicht umsetzen lassen. Das zeigen auch aktuelle Debatten über die Finanzbedarfsanalyse des Bundesministeriums der Verteidigung und Positionspapier, das Annegret Kramp-Karrenbauer und ihr Generalinspekteur erst jüngst verfasst haben.
Wer in dieser Lage einfach an alten Planungen festhält und unter Verkennung der finanzielle Lage des Bundes keine Prioritäten setzt, handelt genauso unverantwortlich als würde man die Beschaffungsplanung für Truppe allein nach jährlicher Kassenlage vornehmen: Teile der Union betreiben derzeit Realitätsverweigerung, indem sie „einfach mehr Geld“ für Verteidigung in einer Situation fordern, in der es weder einfach noch schwer „mehr Geld“ im Bundeshaushalt geben wird. Gleichzeitig würde man sowohl die Abteilungen Planung und Ausrüstung im Ministerium als auch das Beschaffungsamt in den sicheren Wahnsinn treiben, wenn als Orientierung nur die jährliche Haushaltslage dient – was in den vergangenen Jahren leider viel zu oft die Realität war.
Dabei nehmen Rüstungsprojekte eine zentrale Rolle in dieser Diskussion ein. Rüstungsvorhaben der Bundeswehr sind kein Selbstzweck. Sie dienen dazu, die Truppe mit dem Material auszustatten, das sie für die Erfüllung ihrer Aufträge benötigt. Solche Projekte binden über Jahre enorme Finanzmittel und Personalressourcen. Gleichzeitig sind sie immer wieder Gegenstand von öffentlichen Debatten, weil sie zu spät, zu teuer oder mit Mängel ausgeliefert werden.
Ein Verteidigungsplanungsgesetz kann in dieser Situation vieles leisten: es schreibt eine notwendige Priorisierung von Vorhaben fest, sichert eine verlässliche Finanzgrundlage für deren Realisierung und gibt langlaufenden und ressourcenintensiven Projekten den notwendigen politischen Rückhalt.
Die Idee eines Verteidigungsplanungsgesetzes für die Bundeswehr kursiert in jüngster Zeit immer wieder. Kürzlich hatte Annegret Kramp-Karrenbauer in ihrer zweiten Grundsatzrede vor Studierenden der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg den Begriff ins Spiel gebracht – freilich ohne dabei genauer auszuführen, was sie eigentlich darunter versteht. Als Worthülse wird ein solches Gesetz auf keinen Fall einen Mehrwert schaffen. In diesen Beitrag wird daher ein erster Vorschlag für die Grundprinzipien eines solchen Verteidigungsplanungsgesetzes gemacht:
Der Bundestag sollte alle zehn Jahre in Form eines solchen Gesetzes die zehn bis 15 wichtigsten Beschaffungsvorhaben der Bundeswehr festlegen. Deren Finanzierung wird damit eine gesetzliche Aufgabe. Gleichzeitig wird für jedes Vorhaben eine Budgetobergrenze festgelegt, allein schon um der Industrie keinen Freibrief zu geben, jedweden Preis aufrufen zu können. Dies stellt auch sicher, dass der Bundestag als Haushaltsgesetzgeber die Kontrolle über maximalen Finanzbedarf, der durch so ein Gesetz verursacht wird, behält. Das Budget eines Projekts ist – anders als heute – mehrjährig verfügbar. Es steht also im Vordergrund, ob ein Beschaffungsvorhaben im Zeit- und Kostenrahmen abläuft, und nicht, in welchen Jahresscheiben die Finanzmittel dafür verausgabt werden. Anders als derzeit sind die Finanzmittel der Projekte jedoch nicht „gegenseitig deckungsfähig“, also querfinanzierbar. Überzieht ein Beschaffungsvorhaben sein Budget, so müssen etwaige zusätzliche Mittel im Rahmen der Haushaltsberatungen erörtert und entschieden werden. Da Großvorhaben im Beschaffungsbereich meist Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte in Anspruch nehmen, sollte ein solches Gesetz auch eine Laufzeit von rund zehn Jahren haben. Gleichzeitig dürfen aber nur solche Vorhaben darin aufgenommen werden, bei denen auch ein Beginn der Realisierung in diesem Zeitraum möglich ist. Die parlamentarische Kontrolle bleibt unverändert bestehen. Vor Vertragsschluss muss – wie heute auch – die Zustimmung des Haushaltsausschusses zum Vertrag eingeholt werden. Das Gesetz ist also gerade kein Freifahrtschein für Himmelfahrtsprojekte im Rüstungsbereich.
Das Beschaffungsamt der Bundeswehr schließt jährlich eine fünfstellige Anzahl von Verträgen, und natürlich wird es auch zukünftig weitere Beschaffungsvorhaben neben denen geben, die in einem solchen Gesetz stehen. Mehrjährige Großvorhaben im Rüstungsbereich hingegen binden eine Vielzahl von knappen Ressourcen: Dies betrifft nicht nur Haushaltsmittel, sondern auch Personal im Beschaffungsamt im Koblenz. Bisher plant diese Behörde, in der ohnehin gut ein Fünftel der Stellen seit Jahren nicht besetzt sind, eine Vielzahl größerer Projekte parallel, ohne zu wissen, welche auch eine Chance auf Realisierung haben. Das Verteidigungsministerium drückt sich vor der unliebsamen Entscheidung, die aussichtslosen Projekte zu beenden. Somit werden im ohnehin stark belasteten Beschaffungsbereich unnötig Ressourcen verbrannt. Ein Verteidigungsplanungsgesetz würde hier für belastbare Prioritäten sorgen.
Auch auf der Kostenseite brächte ein solches Gesetz deutliche Vorteile mit sich. Heute sind alle Beschaffungsvorhaben im Haushaltsplan gegenseitig deckungsfähig, das heißt Mehrausgaben bei einem Projekt können zu Lasten anderer Vorhaben gedeckt werden. Dies führt nicht nur zu Verdrängungseffekten von Großprojekten gegenüber finanziell kleineren aber für die Truppe nicht unwichtigen Beschaffungen, es schafft auch keinen wirklichen Anreiz, in der Planungsphase eines Rüstungsprojekts im beabsichtigten Finanzrahmen zu bleiben. Feste, aber mehrjährige Finanzbudgets hingegen schaffen einerseits Flexibilität und andererseits eine klare Vorgabe zu Projektbeginn, in welchem Kostenrahmen die Beschaffung zu realisieren ist. Mehrausgaben müssten gegenüber dem Bundestag gerechtfertigt werden und bräuchten dessen Zustimmung.
Schließlich wird die parlamentarische Mitwirkung durch ein Verteidigungsplanungsgesetz gestärkt. Derzeit muss der Haushaltsausschuss ein Vorhaben erst nach Abschluss der Vertragsverhandlungen billigen. Er kann zwar mancherlei Maßgaben damit verbinden, hat aber keinen wirklichen Einfluss darauf, welche Projekte vorangetrieben werden und welche nicht. Eine Prioritätensetzung im Rahmen der jährlichen Haushaltsberatungen findet – allein schon aufgrund der bereits erwähnten Möglichkeit der Querfinanzierung der Projekte – nicht wirklich statt. Der Bundestag hätte mit einem solchen Gesetz nicht nur das entscheidende Wort bei der Auswahl der Projekte selbst, die Bundesregierung müsste sich auch endlich der seit langem geforderten sicherheitspolitischen Debatte stellen. Eine Situation wie beim Weißbuch 2016, das von der Bundesregierung beschlossen und anschließend nie im Bundestag debattiert wurde, wäre undenkbar, weil ein Weißbuch sicherlich Grundlage für die Entscheidungen, die mit einem Verteidigungsplanungsgesetz verbunden sind, wäre.
Ein Verteidigungsplanungsgesetz zwingt Parlamentarier aber auch zu unliebsamen Entscheidungen. Wer Prioritäten setzt, muss damit auch sagen, was weniger wichtig ist. Ob so ein Gesetz in der kommenden Legislaturperiode umgesetzt würde, hinge also durchaus vom politischen Willen ab, unliebsame Priorisierungsentscheidungen zu treffen. Nicht alle Probleme, unter denen die Bundeswehr gegenwärtig leidet, werden durch ein solches Gesetz gelöst. Missmanagement bei Wartung und Instandhaltung können nicht per Gesetz nicht beseitigt werden. Es ist auch keine Gelddruckmaschine, wie vielleicht von manchen Konservativen erhofft. Aber am Ende kann es zwei wichtige Dinge leisten: Prioritäten und Planungssicherheit. Beides braucht die Bundeswehr im Moment dringender denn je.