Redeprotokoll
Vizepräsidentin Petra Pau:
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Kollege Dr. Tobias Lindner das Wort.
Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Koppelin, Sie haben sich auf die Anfrage der Türkei zu Patriot-Systemen bezogen und in diesem Zusammenhang, ich finde, durchaus zu Recht von einer gewissen Sensibilität gegenüber den betroffenen Soldatinnen und Soldaten gesprochen. Meine Fraktion hält es aber dann, wenn wir das mit der Sensibilität gegenüber den betroffenen Soldatinnen und Soldaten ernst meinen, auch für geboten, dass wir die Fragen, die im Raum stehen, bei denen einige Mitglieder dieses Hohen Hauses skeptisch sind, in aller Sachlichkeit und der Reihe nach klären, bevor wir zu einer Entscheidung kommen, und dass wir – wenn wir über „Entscheidung“ reden – diese Entscheidung an diesem Ort und an dieser Stelle treffen.
Ich bin den zahlreichen Kolleginnen und Kollegen sehr dankbar, die sich in den letzten Tagen ausdrücklich für eine Parlamentsbeteiligung ausgesprochen haben. Ich bin Ihnen, Herr Minister, sehr dankbar, dass Sie an dieser Stelle klare Worte gefunden haben, weil wir überzeugt sind: An keiner anderen Stelle als hier im Deutschen Bundestag kann und sollte diese Entscheidung getroffen werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Da hat er recht!)
Wir haben in dieser Debatte bereits viel über diese mysteriöse Einsparvorgabe von 8,3 Milliarden Euro gesprochen, die Ihr Vorgänger Karl-Theodor zu Guttenberg bei der Kabinettsklausur ausgegeben hat. Ihr Haus hat mir auf meine Nachfrage hin eine – das will ich zugestehen – durchaus sehr kreative Rechnung präsentiert, nach der, würde man dieser Rechnung glauben, diese Einsparvorgabe erbracht werden würde.
Ich will in diesem Zusammenhang über drei Dinge reden: Es war nicht unbekannt, als die Kabinettsklausur stattfand, dass es in diesem Land ein Einheitliches Liegenschaftsmanagement gibt, in das die Liegenschaften der Bundeswehr überführt werden. Es war richtig und wichtig – Herr Kollege Koppelin hat über die finanzielle Ausstattung der Soldatinnen und Soldaten gesprochen –, dass es Gehaltssteigerungen bei der Bundeswehr gibt.
(Zuruf von der CDU/CSU: Genau! – Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Das war gut so!)
Aber die Tatsache, dass es in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen zu Gehaltssteigerungen kommt, ist ähnlich überraschend wie Weihnachten im Dezember.
Ein weiterer Punkt. Es ist im Grunde ein Treppenwitz, dass sich ausgerechnet die Linke auf die NATO-Kriterien für Verteidigungsausgaben bezieht. Nehmen wir diese einmal ernst! Dabei muss man die 1 Milliarde Euro berücksichtigen, die in den Einzelplan 60 für Personalausgaben verlagert wurde. Wenn man berücksichtigt, dass die veranschlagten 8,3 Milliarden Euro mittelfristig über vier Jahre zu erbringen waren, dann erkennt man schon an dieser Stelle, dass allein die Hälfte dieser Einsparung von 8,3 Milliarden Euro durch die Personalkosten im Einzelplan 60 sozusagen aufgefressen werden. Das sind ja keine virtuellen Kosten; diese Kosten fallen real an.
Welche Schlussfolgerungen muss man daraus ziehen? Herr Minister, sagen Sie den Soldaten an dieser Stelle die Wahrheit! Die Sparvorgabe, die Ihr Vorgänger ausgebracht hat, kann mit dieser Reform nicht erbracht werden. Die Soldatinnen und Soldaten in unserem Land haben doch keine Angst vor der Wahrheit. Sie haben Angst davor, dass man ihnen etwas vormacht und dass dann eine weitere Reform die Konsequenz wäre. Deswegen müssen wir uns an dieser Stelle ehrlich machen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ein anderer Punkt. Die Konsolidierung eines Haushalts, das Erfüllen einer Sparvorgabe sind kein Selbstzweck. Wenn wir in diesem Land – darüber wurde heute Morgen in der Elefantenrunde viel gesprochen – andere Prioritäten setzen wollen, wenn wir mehr Geld für Bildung und Forschung und im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit ausgeben wollen, wenn wir in diesem Bundeshaushalt zugleich die Risiken abbilden wollen, die sich aus der Schuldenkrise in Europa ergeben, und wenn wir der Schuldenbremse gerecht werden wollen, dann müssen wir auch – in der vorangegangenen Debatte zum Einzelplan 05 ist darauf hingewiesen worden – sagen, wo dieses Geld herkommen soll.
Wenn wir an dieser Stelle so ehrlich sind, dann müssen wir auch sagen: Wenn ein Konsolidierungsbeitrag erbracht werden soll, dann muss die Bundeswehr wegkommen vom Konzept „Breite vor Tiefe“. Sie braucht vielmehr ein Fähigkeitsprofil, das einer modernen Armee in einem Land entspricht, das nicht mehr bedroht ist, einer Armee, die in Bündnisse eingebunden ist. Ein solches Fähigkeitsprofil muss definiert werden. Hierauf muss man sich konzentrieren. Und das tun Sie gerade nicht.
Ich fand, dass diese Debatte heute in einer sehr angemessenen Tonlage verlaufen ist. Daher möchte ich zum Schluss Ihnen, Herr Kollege Koppelin, für die Hauptberichterstattung danken. Ein Dank gilt auch meinen Kollegen Mitberichterstattern und der Kollegin Mitberichterstatterin.
Viele von Ihnen wissen es: Ich bin ein Mensch, der den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert hat, der nach der Prüfung seines Gewissens zum Ergebnis kam, dass er nicht in der Lage ist, in der Bundeswehr einen Dienst zu leisten. Das hindert mich aber nicht daran, den Soldatinnen und Soldaten Respekt entgegenzubringen, die ihren Dienst tun und Einsätze erfüllen, in die wir, der Deutsche Bundestag – gleich wie wir einzeln abgestimmt haben und wie wir morgen darüber denken –, sie geschickt haben. Ich finde, diese Debatte ist dieser schweren Aufgabe angemessen. Auch die Gespräche der Berichterstatter im letzten Jahr waren ihr angemessen.
Ich danke Ihnen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)