Rede – Aktuelle Stunde zu den US-Truppenverlegungen nach Osteuropa

Im Rahmen der Aktuellen Stunde zu den Außenpolitischen Auswirkungen der US-Truppenverlegungen nach Osteuropa „Atlantic Resolve“ sprach Tobias im Plenum.

 

 

Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kommen wir zu den Fakten. Worüber reden wir hier eigentlich? Die Vereinigten Staaten verlegen eine Brigade über Bremerhaven nach Polen. Diese Brigade umfasst 3 500 Personen, 2 800 Fahrzeuge und Container, 87 Panzer, 144 Schützenpanzer, 18 Haubitzen und 419 Gefechtsfahrzeuge. Ja, das ist eine ganze Menge an Material. Das muss man nicht mögen; das muss man nicht toll finden. Auch muss man es nicht toll finden, wenn in Europa mehr statt weniger Manöver abgehalten werden. Aber man muss sich die Frage stellen: Warum findet das denn statt?

Herr Kollege Gehrcke, es hätte schon zur Redlichkeit gehört, dann auch einmal über die Ursachen zu reden. Und die sind nun einmal im Verhalten Russlands begründet. Das kann und darf man an dieser Stelle nicht wegdiskutieren, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der SPD – Widerspruch bei der LINKEN)

Wenn Sie davon sprechen, dass man sich an Verträge halten soll – das ist in dieser Debatte schon erwähnt worden –, dann muss sich die russische Führung den Vorwurf gefallen lassen: Warum haltet ihr euch nicht an Verträge? Warum fahrt ihr mit den Drohungen fort? Warum schafft ihr in Europa eine Situation, in der sich unsere östlichen Bündnispartner bedroht fühlen?

(Zuruf des Abg. Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE])

In dieser Situation, Herr Kollege Neu – ich weiß, dass es wehtut, wenn einen die eigene Fraktion in einer Debatte nicht reden lässt –,

(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN)

muss man doch einmal die Frage stellen: Was ist denn die Alternative, wenn wir keine Aufrüstungsspirale in Europa wollen? Wäre es eine Alternative, unsere östlichen Bündnispartner alleinzulassen, ihnen keine Rückversicherung zu geben? Was wäre dann die Konsequenz? Die Konsequenz wäre doch, dass sie sich selbst helfen und gerade erst recht aufrüsten würden. Das heißt, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen: Jeder, dem daran gelegen ist, dass es keine neue Aufrüstungsspirale gibt, muss ein Interesse an dieser Rückversicherungspolitik haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)

Wenn man Manöver kritisiert, dann muss man auch das Verhalten Russlands an dieser Stelle kritisieren. Nicht nur für die Kollegin Motschmann, sondern für jeden, der den Fernseher eingeschaltet hat, war sichtbar: Da fährt eine Brigade nach Polen. Kollege Kiesewetter hat es erwähnt: Das Ganze ist angekündigt worden. Was macht Russland stattdessen? Es führt sogenannte „snap exercises“ durch, also Manöver, die nicht angekündigt sind, mit Zehntausenden von Soldaten. Unabhängig davon, dass das Nichtankündigungen von Manövern ebenfalls ein Bruch von Verträgen ist, schafft das Raum für gefährliche Missverständnisse, weil niemand wissen kann: Ist das ein Manöver, oder könnte es auch etwas anderes sein?

Wenn Sie, Kollege Gehrcke, davon reden, dass die Türen Europas, dass die Türen der NATO offenstehen sollen, dann muss ich erwidern, dass sich Russland den Vorwurf gefallen lassen muss, dass es nicht durch diese offenen Türen geht. Die NATO hat mehrfach, so ist es in den Dokumenten der KSZE niedergelegt, russische Beobachter zu Manövern eingeladen, um auch hier vertrauensbildende Maßnahmen zu schaffen. Ich erwarte, dass solche Einladungen weiterhin ausgesprochen werden. Aber genauso erwarte ich von der russischen Seite, dass eine solche Einladung auch angenommen wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Was die NATO angeht, ist für meine Fraktion eines ganz klar: Wenn sich die NATO auf eine Strategie „Abschreckung und Dialog“ festlegt, dann muss für alle Mitgliedstaaten gelten, dass man nicht das eine tut und das andere vielleicht als ein Feigenblatt oder als ein unliebsames Zusatzinstrument behandelt. Ich erwarte von allen Bündnispartnern der NATO, gerade auch von unseren östlichen Bündnispartnern – der Kollege Thönnes hat über Polen und das Baltikum gesprochen –, dass sich alle an diese Strategie halten und dass man, wenn man auf der einen Seite Rückversicherungsmaßnahmen durchführt, auf der anderen Seite wirklich jedes Instrument nutzt, um einen Dialog zumindest anzuregen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das heißt in aller Deutlichkeit: Wir sollten schauen, dass sich der NATO-Russland-Rat nicht weniger, sondern häufiger trifft. Reden schadet nie, und Reden vermeidet die Gefahr gefährlicher Missverständnisse. Das heißt auch, dass man Russland immer wieder zwingt, sich dazu zu verhalten, und dass man Angebote macht. Ich füge hinzu: Das heißt aber auch, dass man dann klar und deutlich benennt, wann die russische Seite solche Angebote wahrnimmt und wann sie nur Fehlinformationen in die Öffentlichkeit streut und solche Angebote ausschlägt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir als Grüne erwarten von der Bundesregierung, dass Sie sich auch an dieser Stelle im Bündnis einsetzen, dass der Dialog nicht zu kurz kommt, damit es nicht nur bei Abschreckung bleibt, sondern damit auch die Tür offengehalten wird für eine Lösung dieses Konflikts.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)