Redeprotokoll
Einzelplan Verteidigung
Vizepräsidentin Ulla Schmidt:
Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dr. Tobias Lindner, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man hat vielleicht, wenn man Haushaltsdebatten über Wochen verfolgt, gelegentlich den Eindruck, es habe sich zwischen der ersten und der zweiten und dritten Lesung eines Haushalts wenig getan. Ich glaube, dieser Eindruck ist bei keinem Haushalt so unzutreffend wie beim diesjährigen Verteidigungshaushalt.
Diese Debatte ist aus zwei Gründen berechtigt: zum einen, weil Sie, Frau Ministerin, über die Vorlage zur Bereinigungssitzung innerhalb Ihres Haushaltes massive Umschichtungen – der Kollege Kalb ist gerade auf die Verpflichtungsermächtigungen eingegangen – vorgenommen haben, die nicht nur dieses Jahr betreffen, zum anderen, weil es gerade in den Wochen nach der ersten Lesung hier im Plenum eine ganze Menge an Bericht-erstattungen gab.
Nachdem Sie jetzt ein knappes Jahr im Amt sind, will ich kurz auflisten, was Sie bisher alles angekündigt haben: Sie wollen mehr Verantwortung in der Welt übernehmen, Rüstungsprojekte, die oftmals viel zu teuer sind und bei denen die Rüstungsgüter zu spät geliefert werden, endlich unter Kontrolle bringen, die Bundeswehr zu einem attraktiven Arbeitgeber machen, ein neues Weißbuch schreiben und schließlich auch neue Großprojekte anstoßen.
Schauen wir einmal, was Sie nach einem Jahr der Ankündigungen erreicht haben. Dazu fällt mir ein: Im Dezember letzten Jahres haben Sie zuerst Staatssekretär Wolf in den Ruhestand versetzt. Die Entlassung von Herrn Beemelmans folgte im Februar, genauso wie die des Abteilungsleiters Selhausen, und Haushaltsdirektor Paul Jansen soll – das wurde vor wenigen Tagen beschlossen – in den Ruhestand versetzt werden.
Bei den Rüstungsprojekten sieht es folgendermaßen aus: Sie haben viel angekündigt. Im Februar haben Sie die Entlassung angeordnet und ein Gutachten in Auftrag gegeben, das im Oktober vorgelegt wurde; darauf werde ich noch zurückkommen. Vor wenigen Tagen fand, wie ich lesen konnte, eine Kick-off-Veranstaltung eines neuen Teams statt, das sich mit Rüstungsmanagement befassen soll. Viel ist also nicht geschehen.
Viel geschehen ist beim Puma, bei dem es im Rahmen des Beschaffungsprogramms zu Verzögerungen kam, beim A400M, der zwar geliefert wird, aber mit weniger Leistungen und bisher ohne Wartungsvertrag, beim Eurofighter, bei dem es Produktionsmängel gab, und schließlich beim G36, bei dem ein Beschaffungsstopp verhängt wurde.
Alles in allem muss man sagen: Ihre Bilanz nach einem Jahr, Frau von der Leyen, sieht ziemlich mau aus. Es reicht eben nicht, einfach nur Berichte zu schreiben. Sie müssen auch einmal Entscheidungen treffen, auch wenn diese unbequem sein mögen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Wo waren Sie denn das ganze Jahr?)
Es wird viel darüber geredet, ob die Bundeswehr zu viel oder zu wenig Geld hat. Sie haben heute bereits 5 Milliarden Euro mehr an Haushaltsmitteln zur Verfügung, als Sie es eigentlich nach der Planung Ihres Unionskollegen Karl-Theodor zu Guttenberg haben dürften.
Zusätzlich haben Sie den Etat für die kommenden Jahre noch mit Verpflichtungsermächtigungen im Mil-liardenbereich vollgestopft. Sie haben uns dann einen Haushaltsplan vorgelegt, der beispielsweise null Rücksicht auf die Probleme im Materialerhalt nimmt. Er nimmt auch null Rücksicht darauf, dass Sie im letzten Jahr gut mit Ihrem Geld ausgekommen sind und 1,6 Milliarden Euro zurückgegeben haben. Nein, Frau von der Leyen, dieser Haushaltsplan 2015 ist eigentlich das Gegenteil eines Plans: Er ist in Zahlen gegossene Planlosigkeit.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Das ist aber ein rhetorischer Trick! – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Das müssen Sie zurücknehmen! Mit Bedauern!)
– Ich kann den Kollegen der Union nur raten, vorsichtig zu sein, wenn wir über Rüstungsprojekte reden. Dabei wird nämlich manches besonderes deutlich. Beschaffungsprojekte haben immer eine große mediale Aufmerksamkeit. 4,3 Milliarden Euro allein im Jahr 2015: Das ist eine ganze Menge Geld. Es ist mehr, als andere Minister insgesamt zur Verfügung haben. Ich glaube, Herr Steinmeier wäre froh, wenn er 4,3 Milliarden Euro hätte.
(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Die Kanzlerin auch!)
Wenn es immer mehr Wünsche als Geld gibt, erfordert das erst recht, dass man vernünftig mit dem Geld umgeht und Prioritäten setzt.
Obwohl es in den letzten Monaten immer wieder hieß, es gebe keine Spielräume im Verteidigungsetat, haben Sie sich plötzlich in der Nacht der Bereinigungssitzung noch über 1 Milliarde Euro mehr – ich weiß nicht, wo Sie das Geld gefunden haben – für zwei Projekte, auf die ich noch zu sprechen komme, gegönnt. Abgesehen davon, dass diese Projekte höchst umstritten sind, frage ich Sie: Wie kommt es, dass Sie plötzlich 1 Milliarde Euro mehr bekommen, wenn sonst kein Geld da ist?
Zum einen geht es um den GTK Boxer. Bei Ihrem Amtsantritt haben Sie noch gesagt, Sie wollen damit Schluss machen, dass immer wieder aus dem politischen Raum – das war auch ein bisschen Bashing gegenüber dem Parlament – motivierte Rüstungsprojekte kommen, industriepolitisch getarnt, die dann später kommen und teurer werden als geplant und vielleicht sogar auch gar nicht benötigt werden.
Ihr eigener Staatssekretär, Herr Grübel, schreibt uns noch am 14. August – ich zitiere wörtlich –:
Eine zusätzliche Beschaffung [des] GTK Boxer würde grundsätzlich eine Korrektur der Leitlinien zur Neuausrichtung der Bundeswehr und den darin verankerten Obergrenzen für strukturrelevante Hauptwaffensysteme bedingen.
Weiter heißt es:
Weder die Beschaffung von zusätzlichen GTK Boxern noch eine Erhöhung der Aufwendungen für den Betrieb sind in der derzeitigen Finanzplanung abbildbar.
(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Im August! Wir haben doch jetzt November!)
Seit August haben sich die Dokumente, die die Obergrenzen der strukturrelevanten Hauptwaffensysteme bedingen, nicht geändert. Denn dann hätte es einen Kabinettsbeschluss geben müssen. Es gab keine Änderungen.
Die Koalition hat dennoch im Verteidigungsausschuss am 14. Oktober nicht nur gefordert, neue Kampfpanzer und einen Leopard 3 zu entwickeln – sie hatte aus meiner Sicht ziemlich absurde Vorstellungen –, nein, Sie wollten dann auch weitere GTK Boxer und haben das mit einer veränderten sicherheitspolitischen Lage auf diesem Planeten begründet.
(Henning Otte [CDU/CSU]: So ist das!)
Jetzt könnten Sie sich damit herausreden, Frau von der Leyen, dass die Koalition Ihnen das in der Bereinigungssitzung aufgedrückt hat, wie letztes Jahr die globale Minderausgabe. Was aber macht das Verteidigungsministerium? Sie machen sich auf einmal mit dieser Haltung gemein. Sie übernehmen diese Haltung. Sie haben zwar von einer geänderten Sicherheitslage bezogen auf den europäischen Rahmen gesprochen, wollten uns aber dann am 6. November bitten, weil jetzt vor allem Landstreitkräfte erforderlich seien, 131 GTK Boxer mehr zu beschaffen, als es die Struktur der Neuausrichtung der Bundeswehr vorsieht.
Das ist das exakte Gegenteil dessen, Frau von der Leyen, mit dem Sie im Dezember 2013 Ihr Amt angetreten haben, was den Rüstungsbereich betrifft. Das ist verantwortungslos gegenüber all denen, die auf die knappen Mittel angewiesen sind.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Ganz im Gegenteil, Herr Lindner! Schwacher Beitrag von Ihnen! – Zuruf von der Regierungsbank: Es sind ja nur vier Leute da! – Gegenruf des Abg. Henning Otte [CDU/CSU]: Wenn einer geht, wird es eng! – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Die sicherheitspolitische Lage hat sich verändert!)
– Ich würde jetzt nicht solche Witze reißen, wenn die Soldatinnen und Soldaten – dazu wollte ich gerade kommen – sich um Materialerhalt Sorgen machen, wie wir leider in den letzten Wochen und Monaten haben vernehmen müssen. Sie haben für den Bereich Materialerhalt in diesem Haushalt praktisch nichts gemacht.
Sie geben Geld für neue Projekte aus. Aber beim Materialerhalt haben Sie sich über Jahre hinweg auf die Strategie „Breite vor Tiefe“ eingeschossen, ohne diese richtig und vollständig zu reflektieren. Das, was Sie unter „Breite vor Tiefe“ verstehen, bedeutet, dass wir von allem etwas haben, aber nicht viel. Kein Wunder, dass dann Wartungs- und Instandhaltungskosten nach oben gehen, dass darunter die Soldatinnen und Soldaten leiden und dass Auslandseinsätze wie der in der Türkei teilweise auf dem Rücken der Betroffenen durchgeführt werden.
Ich gebe dem Kollegen Bartholomäus Kalb an einer Stelle voll und ganz recht: Wir verlangen Menschen, die sich entscheiden, bei der Bundeswehr Dienst zu tun, viel ab. Wir verlangen ihnen unter anderem ab, dass sie in einen Auslandseinsatz gehen müssen, wenn wir dies in diesem Hohen Hause beschließen. Wir geben diesen Menschen dafür die Zusage: Wenn ihr vier Monate im Ausland gedient habt, dann habt ihr 20 Monate Karenzzeit in Deutschland und könnt euren Dienst im Heimatland tun. Bei den Patriot-Staffeln, die in der Türkei im Einsatz sind, ist mir gesagt worden, dass bei über einem Drittel der Soldatinnen und Soldaten diese Zusage nicht eingehalten werden kann, weil die Durchhaltefähigkeit nicht gegeben ist. Das ist verantwortungslos gegenüber den Betroffenen. Das zeigt, dass das Konzept „Breite vor Tiefe“ überhaupt nicht zu Ende gedacht ist und dass Sie hier, Frau von der Leyen, im Sinne der Betroffenen endlich umsteuern müssen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Schon wieder eine falsche Konsequenz!)
Das führt mich direkt zum Thema Attraktivität. Ich habe gedacht, dass es 25 Jahre nach dem Mauerfall im Verteidigungsministerium eine Neuerfindung des Mottos „Schwerter zu Pflugscharen“ gibt. Ich würde das „Fregatten zu Flachbildschirmen“ nennen. Es war lange Ihr persönliches Geheimnis, wie Sie die Attraktivitäts-agenda mit einem Volumen von 126 Millionen Euro im kommenden Jahr finanzieren wollen. Bis eine Woche vor der Bereinigungssitzung haben Sie gesagt, dass Sie das durch Umschichtung erreichen wollen. Dann wird klar – dem Kollegen Gädechens wird das in der Seele wehtun –, dass Geld frei wird, weil eine Fregatte später kommt. Jetzt könnten wir als Grünenfraktion große Sympathie empfinden, Frau von der Leyen, wenn das eine politische Strategie wäre und das Verteidigungsministerium weniger Geld für Rüstung ausgeben würde, um mehr Geld in Köpfe und vernünftige Arbeitsbedingungen investieren zu können. Das würden wir sicherlich unterstützen. Aber Sie spielen haushaltspolitisches Roulette auf dem Rücken der Soldatinnen und Soldaten, die darauf vertrauen, dass die Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Dienst kommen. An dieser Stelle werden Sie Ihrer Verantwortung als oberste Dienstherrin nicht gerecht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Attraktivität ist deutlich umfassender – ich denke, dass mir da niemand widersprechen wird – als das, was in der Attraktivitätsagenda steht. Attraktivität erfordert funktionierendes Material, auf das sich die Soldatinnen und Soldaten verlassen können, aber auch Unterkunftsgebäude, die angemessen ausgestattet sind. Ich will mich nicht darüber lustig machen, aber es ist klar, dass es hier nicht um Minikühlschränke und Flachbildschirme geht, sondern um ganz einfache Dinge wie funktionierende Sanitärräume und ordentlich ausgestattete Stuben, bei denen es nicht durch das Dach regnet. Ihr Staatssekretär Gerd Hoofe sprach im Verteidigungsausschuss davon, dass 40 Prozent der Unterkunftsgebäude in einem dramatischen Zustand seien. Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben sieht einen Sanierungsaufwand in Höhe von mindestens 4,3 Milliarden Euro. Was machen Sie? Sie kürzen die Verpflichtungsermächtigung, also die Mittel für Infrastruktur- und Baumaßnahmen für 2016 und die Folgejahre. Das steht im Widerspruch zur Analyse Ihres eigenen Ministeriums. Auch das ist unverantwortlich gegenüber den Menschen, die in den Unterkunftsgebäuden leben sollen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich muss feststellen: Nach einem Jahr, Frau Ministerin, will ich Ihnen nicht vorwerfen, dass Sie an Ihren eigenen Ansprüchen gescheitert wären. Scheitern kann man nur, wenn man sich auf den Weg macht und versucht, gegen Widerstände anzukämpfen. An vielen Stellen – seien es politisch motivierte Rüstungsprojekte, sei es das Thema Unterkunft oder sei es die Lösung von Managementproblemen – haben Sie sich nun in die Phalanx von Herrn Jung, Herrn zu Guttenberg und Herrn de Maizière eingereiht. Ich kann nicht erkennen, dass hier irgendetwas anders werden soll.
(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Dann müssen Sie die Augen aufmachen!)
Das zeigt sich auch in Ihrem Haushalt. Ihrer Verantwortung gegenüber denjenigen, die Ihnen anvertraut sind, gegenüber den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, sowie gegenüber den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern in diesem Land werden Sie nicht gerecht. Mit dem Haushalt 2015 begeben Sie sich leider auf ein haushaltspolitisches Himmelfahrtskommando. Da lassen wir Sie alleine reisen.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsidentin Ulla Schmidt:
Vielen Dank.