Rede – NATO-Beitritt Montenegros

Redeprotokoll

Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit Montenegro nehmen wir ein Land in die NATO auf, das kleiner ist als Schleswig-Holstein. Die Armee von Montenegro ist gerade einmal 2 000 Soldaten stark. Wenn sich die NATO dadurch gestärkt fühlen würde, dann wäre das genauso albern, als würde sich Russland dadurch bedroht fühlen.

(Niels Annen [SPD]: Das stimmt!)

Genauso albern ist es, Herr Kollege Neu, wenn Sie hier sagen, das würde die Sicherheitsarchitektur in Europa signifikant verändern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD – Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Applaus von der CDU!)

Es geht bei diesem Beitritt natürlich um Symbolik. Es geht auch darum – da hätten Sie vielleicht auf Ihren Genossen Michail Sergejewitsch Gorbatschow hören sollen, als er von freier Bündniswahl gesprochen hat –, dass wir uns die Beitrittsbedingungen nicht diktieren lassen. Jedes Land in Europa hat das Recht auf freie Bündniswahl,

(Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Pariser Verträge!)

und jedes Bündnis entscheidet souverän darüber, wer bei ihm Mitglied sein darf und wer nicht.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der SPD)

Montenegro hat sich für die NATO entschieden, und heute stimmen wir darüber ab, Montenegro in die NATO aufzunehmen. Aber gerade weil Montenegro dann ­NATO-Mitglied sein wird, müssen wir genau hinschauen und dürfen nicht schweigen.

Wir mussten in diesen Tagen schmerzlich erfahren: Eine NATO-Mitgliedschaft ist keine Garantie für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

(Zuruf von der SPD: Das stimmt!)

Wer gedacht hatte, dass die Zeiten einer Militärdiktatur in Griechenland oder des Franquismus in Spanien vorüber sind und unter den NATO-Mitgliedern nur Demokratien sind, der wird in diesen Tagen von Herrn Erdogan eines Schlechteren belehrt. Wenn die NATO es ernst damit meint, eine Wertegemeinschaft zu sein, dann darf sie nicht so leisetreterisch auftreten wie ihr Generalsekretär kürzlich in Istanbul.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein NATO-Generalsekretär, der dazu schweigt, dass die Türkei zurzeit im Nordirak das Völkerrecht bricht, der dazu schweigt, dass die Türkei Soldaten des NATO-Partners USA militärisch attackiert, der dazu schweigt, dass türkische NATO-Offiziere so verfolgt werden, dass sie in anderen NATO-Ländern – auch in Deutschland – um Asyl bitten müssen, der macht nicht seinen Job, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wer die Wertegemeinschaft NATO ernst nimmt, der darf an dieser Stelle nicht schweigen.

Man muss sagen: Montenegro ist nicht die Türkei. Aber mit seinem Beitritt sind wir natürlich nicht aus der Verantwortung entlassen. In Montenegro herrscht – das wurde angesprochen – massive Korruption. Die Strafverfolgung ist ineffektiv. Auf dem Pressefreiheitsindex von Reporter ohne Grenzen nimmt das Land den unrühmlichen Rang 106 von 180 ein. Im letzten Jahr gab es 19 Übergriffe auf Journalisten. Auch der Mord an Dusko Jovanovic, dem Eigentümer der größten regimekritischen Zeitung, im Jahr 2004 ist bis heute nicht aufgeklärt. Es kann nicht sein, dass wir von der Idee ausgehen: Was im Bündnis passiert, bleibt im Bündnis. – Im Gegenteil: Wir müssen Missstände klar und deutlich ansprechen und Montenegro dabei unterstützen, Korruption zu bekämpfen und die Rechtsstaatlichkeit im Land zu verbessern.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der SPD)

Lassen Sie mich zum Schluss noch drei Bemerkungen machen:

Erstens. Wenn es Russland ernsthaft an einer vernünftigen Sicherheitspartnerschaft in Europa gelegen ist, dann sollte Herr Putin hier keinen Pappkameraden aufstellen. Sein Land ist durch diesen Beitritt in keiner Weise bedroht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Zweitens muss man sagen: Dieser Beitritt ist kein Präjudiz für die Länder Georgien und die Ukraine. Deren Beitritt steht kurz- und mittelfristig nicht auf der Agenda. Man kann aus dem Beitritt Montenegros nichts ableiten.

Drittens – das ist der letzte Punkt, liebe Kolleginnen und Kollegen –: Das alles befreit die NATO nicht aus der Verantwortung, wenn sie von Abschreckung und Dialog spricht, den Dialog ernst zu nehmen. Wir müssen weitere Anstrengungen zeigen, was beispielsweise den NATO-Russland-Rat und Instrumente der Rüstungskontrolle anbetrifft. Da ist die NATO meiner Meinung nach in der Bringschuld, jede Mühe an den Tag zu legen, um Russland zu Gesprächen darüber zu zwingen.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD – Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Das war eine Hoffnungsrede!)