Rede – zum Haushalt des Bundesministeriums der Verteidigung

Redeprotokoll

Bundestagspräsident: Als Nächstem erteile ich das Wort dem Abgeordneten Dr. Tobias Lindner, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

(Johannes Kahrs [SPD]: Guter Mann!)

Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann Sie, Herr Präsident, beruhigen: Mein Manuskript ist auf Pappe gedruckt, und dadurch wird das Zusammenfalten etwas schwierig.

Wir führen die jährliche Debatte über den Verteidigungshaushalt. Das ist durchaus eine besondere Debatte, weil wir über die finanziellen Grundlagen des Dienstes unserer Soldatinnen und Soldaten reden, eines Dienstes, der nur schwerlich mit anderen Berufen vergleichbar ist.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der SPD)

Die Debatte in diesem Jahr ist auch besonders, weil wir über den Etat einer Ministerin sprechen, die sich – so ist mein Eindruck – auf den selbstgewählten Weg zur Kanzlerinnenkandidatur begeben hat. Frau von der Leyen, Sie sind mit großen Schritten – oder besser gesagt: mit großen Ankündigungen – in dieses Amt gestartet. Sie selbst haben die Maßstäbe, an denen Sie gemessen werden, definiert.

Wir sprechen beim Einzelplan 14 über einen Etat, der mit über 32 Milliarden Euro der zweitgrößte Fachetat, nach dem Etat des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, des Gesamthaushaltes ist. Wenn am Freitag dieser Haushalt mit den Stimmen der Großen Koalition beschlossen werden wird, dann vertrauen Ihnen Union und SPD eine ganze Menge Geld an. Die Opposition fragt sich zu Recht, ob die richtigen Schwerpunkte gesetzt wurden, ob diese 32 Milliarden Euro in die richtigen Bereiche fließen. Als grüne Fraktion müssen wir vor allem bezweifeln, dass Sie mit dem Geld, das Ihnen anvertraut wird, Frau von der Leyen, so umgehen, wie es das Parlament erwarten darf.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Aufregung war groß, vor allem bei den Kolleginnen und Kollegen der Union, als ich hier in der ersten Lesung ein Rüstungsmoratorium für die 15 größten Projekte gefordert habe.

(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine gute Sache!)

Es ist Ihnen natürlich interpretatorisch freigestellt, über welche unserer Anträge Sie sich aufregen wollen und über welche nicht. Wir Grünen sind aber schon der Meinung, dass man das, was Sie angekündigt haben, Frau von der Leyen, ernst nehmen sollte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Michael Brand [CDU/CSU])

Da Sie im Frühjahr Projektstatusberichte nicht gebilligt haben, finden wir es recht und billig, dass der Haushaltsausschuss Gelder für diese Projekte erst dann freigibt, wenn Sie dem Ausschuss einen gebilligten Statusbericht vorlegen und wir sicher sein können, dass zumindest das eigene Haus von diesen Projekten noch überzeugt ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir wollen nicht – das haben wir in diesen Haushaltsberatungen gezeigt –, dass der Abend, an dem das Rüstungsboard tagte, eine bloße Inszenierung mit den tragischen Opfern Stéphane Beemelmans und Detlef Selhausen bleibt, sondern, dass daraus echte Konsequenzen erwachsen.

Haushaltsberatungen – das hat Bartholomäus Kalb gerade demonstriert – sind gewöhnlich auch ein Ort des Dankes an die Kollegen im Ausschuss, an die Mitarbeiter und an das Ministerium. Ich will heute besonders den von mir geschätzten Kollegen Karin Evers-Meyer und Bartholomäus Kalb für einen Änderungsantrag in der Bereinigungssitzung zum Bundeshaushalt danken. Sie haben es fertiggebracht, dass wir binnen 30 Minuten Beratung im Ausschuss den Verteidigungshaushalt um 400 Millionen Euro kürzen konnten. Ich zitiere aus der Begründung des Antrags der Koalitionsfraktionen:

Begründung:
Zu erwartende Minderausgaben aufgrund von Verzögerungen im Bereich der militärischen Beschaffungen.

Vor wenigen Wochen haben Sie sich hier noch über unsere Forderung nach einem Rüstungsmoratorium aufgeregt und mich vielleicht sogar für irre gehalten. Ich gratuliere Ihnen zu dieser kognitiven Leistung und zu dieser Konsequenz, die Sie gezogen haben. Auch wenn die Kürzung unserer Ansicht nach deutlich stärker hätte ausfallen können, bin ich froh, dass es an dieser Stelle in die richtige Richtung gegangen ist.

Dieser Antrag zeigt noch etwas anderes: Die Große Koalition

(Johannes Kahrs [SPD]: Wirkt!)

vertraut ihrer eigenen Ministerin nicht.

(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu Recht!)

Wenn man sich fragt, wer der Verlierer oder die Verliererin dieser Haushaltsberatungen im Haushaltsausschuss ist, dann wird schnell klar: Es ist die Bundesministerin der Verteidigung. Sie haben sie selbst dazu auserkoren.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dieser Haushalt zeigt vor allem noch einen anderen Punkt: Frau Ministerin, Sie befinden sich auf einer haushaltspolitischen Geisterfahrt. Wenn Sie in dieses Parlament einen Haushaltsplan einbringen, aus dem die -eigene Koalition noch am Tag der Bereinigung 400 Millionen Euro herauskürzen kann, dann hat dieser Etatentwurf wenig mit Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit zu tun.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben hier in der ersten Lesung ausgeführt, dass 2013 1,5 Milliarden Euro nicht abgeflossen sind. Jetzt wurde der Etat noch einmal um 400 Millionen Euro gekürzt. Damit sind wir bei einer Kürzung um 1,9 Milliarden Euro. Sie haben ausgeführt, dass Herr Schäuble -Ihnen in den kommenden Jahren zusätzlich 800 Millionen Euro für Beschaffungsprojekte dazugibt. Nach Adam Riese bleibt eine Differenz von 1,1 Milliarden Euro. Selbst wenn die Kosten heute nicht anfallen, wird die Rechnung für diese Rüstungsaltlasten kommen. Im Moment ist es Ihr Geheimnis, wie Sie sie bezahlen wollen, zumal Sie angekündigt haben – durchaus zu Recht –, die Attraktivität des Dienstes und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern zu wollen. Das kostet aber Geld. Wir fragen uns, wie Sie das in Zukunft bezahlen wollen, wenn Sie übermorgen die Rechnungen für Rüstungsprojekte von vorgestern bekommen, die vielleicht irgendwann einmal zulaufen werden.

Zum Abschluss möchte ich noch auf einen anderen Punkt eingehen. Über die Attraktivität ist viel geredet worden, zum Teil wurde auch zu Unrecht Kritik geübt, beispielsweise hinsichtlich der Flachbildschirme und der Minikühlschränke. Ich will das gar nicht flapsig konnotieren. Ich glaube, dass das durchaus eine Verbesserung darstellen kann, wenn das nicht die einzige Maßnahme bleibt bzw. man die Verbesserung des Dienstes nicht darauf reduziert. Ich bin aber davon überzeugt, dass unsere Soldatinnen und Soldaten, gerade diejenigen, die momentan im Auslandseinsatz sind, in diesen Tagen ganz andere Sorgen haben als fehlende Flachbildschirme oder Minikühlschränke. Ihnen geht es eher um Schutzwesten und aktiven Gehörschutz. Es ist aber vor allem die Sorge darum, ob ihre Waffe, die sie hoffentlich nie einsetzen müssen – ich spreche vom Sturmgewehr G36 –, tatsächlich unter allen Umständen trifft.

Das Ministerium hat seit Jahren diese Probleme kleingeredet. Dann sollte es plötzlich die Munition gewesen sein. Schließlich schrieb Ihnen der Rechnungshof vor wenigen Tagen ins Stammbuch, dass es doch erhebliche Zweifel an der Waffe selbst gibt und umfangreiche Überprüfungen notwendig sind. Dann erfahren wir als gewählte Abgeordnete am Sonntag durch die BAMS, dass nun ein angeblicher Beschaffungsstopp erfolgt sein soll. Ich glaube, die Menschen in diesem Land stellen sich unter Beschaffungsstopp vor, dass kein Gewehr mehr reinkommt und kein Geld mehr dafür rausgeht, bis man die Ursache des Problems kennt. Stattdessen, liebe Kolleginnen und Kollegen, nimmt das Bundesministerium der Verteidigung noch gemäß alten geltenden Verträgen in diesem Jahr mehrere Hundert, wenn nicht gar Tausend G-36-Gewehre ab und wird dafür Millionen zahlen. Das ist das Gegenteil eines Beschaffungsstopps.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will dazu nur sagen: Wenn das Ihre neue Herangehensweise bei der Reformierung des Beschaffungsprozesses ist, Frau Ministerin, habe ich den Glauben verloren, dass sich im Herbst tatsächlich etwas ändern wird.

Ich komme zum Schluss. Wir Grüne haben in diesen Haushaltsberatungen nicht nur den Finger in die Wunde gelegt, sondern auch aufgezeigt, was wir unter „mehr Verantwortung Deutschlands in der Welt“ verstehen. Wir stellen uns darunter vor, dass Deutschland für eine atomwaffenfreie Welt eintritt und eine nukleare Teilhabe aufgibt. Wir stellen uns darunter vor, dass militärisches Eingreifen immer noch die Ultima Ratio bleibt. Deswegen beantragen wir einen Ressortkreis „Zivile Krisenprävention“ im AA, im BMZ und auch im Verteidigungsministerium. Das alles haben Sie nicht gewollt. Stattdessen legen Sie einen Haushalt vor, der heute die Kosten für Probleme von gestern präsentiert und sich den Herausforderungen der Zukunft verweigert. Deswegen werden wir diesem Haushalt nicht zustimmen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)